Der Besuch beim Speisekarten-Museum von Manfred Bertele in Eriskirch vor kurzem hat einige Erinnerungen geweckt. In den Restaurants lese ich die Speisekarten schon lange sehr aufmerksam, was vielleicht schon eine „Déformation professionelle“ ist, die auch auftritt, wenn ich ganz privat unterwegs bin. Dabei achte ich nicht nur auf die Rechtschreibung, sondern vor allem auf den Inhalt. Die Speisekarte soll mich (und die anderen Gäste) ja so über das Gericht informieren, dass ich mich eher dafür als dagegen entscheide.
Speisekarten informieren nicht nur über die Speisen und ihre Preise, sie sind darüber hinaus der ideale Ort, um die Fragen zu beantworten, die von den aufmerksamen oder neugierigen Gästen (meistens nur eine Minderheit, aber eine wichtige Zielgruppe!) gestellt werden könnten oder tatsächlich schon gestellt wurden. Während sie auf das Essen warten, haben sie ja etwas Zeit zum Lesen. Sie erfahren dann aus einer guten Speisekarte (vorne oder hinten), warum das Lokal so heißt, wie es heißt, seit wievielen Generationen es in Familienbesitz ist, welche Berge man bei einem Ausflugslokal von der Terrasse aus sieht, etc. Bei historischen Häusern gehört natürlich die Geschichte auf die erste (oder letzte) Seite der Speisekarte: zumindest die Daten und Fakten, besser aber ein bisschen „Storytelling“.
Die Speisekarte ist damit eines der nicht-kulinarischen Elemente, nach denen ein Restaurant beurteilt werden kann, und es gehört zu den entscheidenden „ersten Eindrücken“, noch bevor sich die Gäste der Bedienung ihre Wünsche mitgeteilt haben. Sie ist eine der „Visitenkarten“ des Restaurants, nach dem Eingangsbereich, der Hintergrundmusik und den Bildern an den Wänden.
Als langjähriger Korrektor müsste ich natürlich bei vielen Speisekarten den Rotstift rausholen, aber wenn man im richtigen Moment etwas im richtigen Ton anspricht, sind die Leute oft froh über den Hinweis. In meiner kleinen Liste der „beliebtesten“ Speisekarten-Fehler stehen ganz oben: die „Bouillabaise“, der „Grand Manier“, die „Sauce Bernaise“ oder das lustige „Lachsteak“.
Dabei sind natürlich die Fehler die schönsten, die dem Ausdruck eine ganz andere Bedeutung geben: Bei der „Bouillabaise“ wird offensichtlich nicht die Temperatur runtergedreht, sondern geküsst (oder mehr), und bei der „Sauce Bernaise“ wird die mutmaßliche Herkunftslandschaft vom westlichen Pyrenäenvorland (Béarn) um fast tausend Kilometer nach Nordosten verlegt.
Bei den reinen Rechtschreibfehlern spielt es natürlich eine Rolle, auf welchem gastronomischen Niveau wir uns bewegen: In einer Pizzeria ist man natürlich fehlertoleranter als in einem Sterne- oder Haubenrestaurant. Deshalb wiegt die „Bouillabaise“ in einem Gourmetrestaurant umso schwerer.
Eine ganz große Herausforderung scheint die „Crème brûlée“ zu sein: Der Gourmetführer Gault-Millau hat vor etwa 20 Jahren mal eine ganze Seite mit etwa 15 verschiedenen Möglichkeiten (aus von ihm getesteten Restaurants!) gefüllt, dieses Dessert falsch zu schreiben!
Der zweite Teil der Speisekarten sind meistens die Seiten mit den „Nicht-Speisen“, also den Getränken, vom einheimischen Bier bis zu karibischen Cocktails. Einen speziellen Teil davon habe ich in einer im Februar 2012 erschienenen Reportage behandelt: die „Kaffee-Schnaps“-Karte, die in der Schweizer Land- und Berggastronomie oft ein Dutzend Positionen umfasst, die längste mir bekannte ist im Berggasthaus Zum wilden Mannli im Toggenburg mit 20 alkoholischen Kaffee-Spezialitäten. ##
Mit meinem „eingebauten Rotstift“ hatte ich in den letzten Jahrzehnten auch zeitweise regelmäßige Einnahmen – als Korrektor und Redakteur von gastronomischen Texten für die Seezunge. Im Frühjahr 2014 bekam ich sogar mal einen Auftrag, Speisekarten für die Restaurants der Hotelkette Holiday Inn zu korrigieren – als späte Reaktion auf meinen Blog-Artikel (in Facebook), mit dem ich die „Sauce Bernaise“ eines Schlossrestaurants im Taunus „aufgespießt“ hatte, Die Korrekturen der Speisekarte des mediterranen Restaurants Le Sud in Konstanz waren nur ein kleiner Job, der mit einem guten Essen für zwei Personen honoriert wurde. (auf dieser Website unter „Korrigierte Galettes“) ##
N.B.: Eine autobiografische Geschichte über meine Kochbücher ist noch in Arbeit!

Die Türe ist offen zu hunderten von Speisekarten und einer großen Bibliothek von Koch- und Küchenbüchern …

Da war außer der Fischsuppe ja auch das Rindvieh falsch geschrieben!

Das Paradies der „Kaffee Schnaps“-Genießer!

Das mediterrane Restaurant Le Sud in Konstanz mit großer Auswahl an bretonischen Galettes