Italien: Toscana-Therapie und Bella Ciao

Die Farben dieser zwei Italien-Bücher beißen sich ein bisschen, aber sie haben beide etwas mit meinem Verhältnis zu Italien zu tun. Das vor genau zwei Monaten vorgestellte Buch über die Geschichte der konstanzerisch-italienischen Beziehungen hat mich angeregt, unter diesem Aspekt in die eigene Geschichte zu schauen.
Ein paar Schlaglichter zum Thema:

Meine wohl älteste Erinnerung zum deutsch-italienischen Verhältnis ist aus München, der Stadt meiner Kindheit: Da hieß es, die Münchner Autofahrer glaubten, sie könnten so fahren wie die Italiener.
Wie die Italiener tatsächlich fahren, konnte ich später bei meinen Bergtouren erleben, wenn junge Einheimische mich zur nächsten Stadt, zum nächsten Bahnhof mitnahmen.

Das wohl früheste Italien-Buch, das mein Bild des Landes geprägt hat, „Die Schülerschule“, habe ich schon in der 12. Klasse gekauft: Ein Brief einer Gruppe von toskanischen Dorfkindern und -jugendlichen, die – angeleitet durch ihren Pfarrer – ihre eigene Schule aufgebaut hatten, in der fast alle Schüler auch „Lehrer“ waren, weil in einer solchen „Zwergschule“ die älteren Schüler immer den jüngeren etwas beibringen konnten und mussten. Das Buch war in den 70er Jahren die ideale Verbindung verschiedener Interessen und Themen : die Alternativschulen, die Toskana und ein Pfarrer, der sich nicht mit seinen Rivalitäten mit einem kommunistischen Bürgermeister aufhält, sondern den Dorfkindern die Bildung vermittelt, von der sie sonst ausgeschlossen wären.

Meine erste Italien-Reise im März 1977 war ziemlich multikulturell: Wir waren vier Studenten, ein Armenier (mit Verwandtschaft in mehreren Städten), ein Holländer, ein Schwabe (mit Freundin in Florenz) und ich. Es war kurz nach einem heißen Winter mit wohl lebhaften Demonstrationen, deren Spuren noch in den Städten zu sehen waren. Das Foto von mir auf einem ausgebrannten Auto zeigt nicht etwa die von mir selbst hinterlassenen Spuren, wir sind erst am Tag danach von Florenz nach Rom gekommen. – Zurück ging es dann über Venedig.
Die zweite Reise in Studienzeiten ging ein paar Semester später, Anfang August, für eine Woche an die Cinque Terre, auch zu viert, wobei einer den Plan hatte, dort an den Cafétischen ein Referat zu schreiben. An zwei Abenden konnten wir bei der „Festa dell’Unità“ die Kultur der linken Sommerfeste kennenlernen.

Politisch war Italien zu dieser Zeit für die nicht-kommunistische Linke ein Vorbild oder eher das Ziel von Projektionen: Autonome, die nicht nur gut mit der Arbeiterbewegung verbandelt waren und mit dieser zusammen „auf den Putz gehauen“ haben, sondern auch mit ihren Graffiti, mit ihren Wortspielen intelligent und originell waren. Für die gemäßigteren Linken war die Linie der PCI mit ihrem „Eurokommunismus“ die Alternative zum „Sozialismus hinter der Mauer“.

Zwei durchaus unterschiedliche Theaterstücke haben dann mein Italien-Bild geprägt: zuerst, wohl in den frühen 80er Jahren, „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo im Uni-Theater, was einschlägige Projektionen ermöglichte (Die trauen sich was!), ein paar Jahre später von Robert Gernhardt das Stück „Die Toscana-Therapie“ im Stadttheater, in dem ein Teil des Publikums sich wiedererkennen konnte.

Die Jahre 1988 bis 1994 waren die Zeit meiner größeren Bergwanderungen in den piemontesischen Alpen, mehr oder weniger an der Grande Traversata delle Alpi orientiert, wobei mich immer auch die Kultur interessiert hat: die okzitanische Sprache, die Waldenser, der Hannibal-Pass – und wenn möglich am Ende einer Tour noch eine Festa de l’Unità in einer Kleinstadt. Aus diesen Touren sind dann einige Reisereportagen hervorgegangen, sogar für das „Reiseblatt“ der FAZ. Dabei hatte ich schon mit dem Anfang meiner ersten Geschichte den Reiseredakteur überzeugt: „Der Wirt des Albergo della Pace in Sambuco ist wie viele Bewohner der Valle Stura di Demonte südwestlich von Turin stolz darauf, in seinem Alltag vier Sprachen zu sprechen: …“ (Okzitanisch, Piemontesisch, Italienisch und Französisch) Bei einer Zeitung für „kluge Köpfe“ kommen solche kulturellen Themen immer gut an, vor allem aus einer selbst den FAZ-Lesern kaum bekannten Region.

Durch diese Reisen, aber auch durch Konzerte in der Bodensee-Region und vor allem durch das Schweizer Radio habe ich Musik-Stile und -Gruppen kennengelernt, die mit italienischem Temperament und ItalianitĂ  die regionale Folklore und Neue Volksmusik so spielen, dass es schwer ist, dabei ruhig im Sessel sitzen zu bleiben, z.B. Nuova Compagnia di Canto Popolare, Cantovivo, La Ciapa Rusa, u.a. Aber auch bei der Musik gibt es eine politische Seite: In keinem anderen Land wird die Internationale oder Bella ciao so fetzig gespielt wie in Italien von den Blaskapellen der Linken! Und die Modena City Ramblers sollte ich dann auch mal live erleben.

Das aktuelle Buch:        
Jürgen Klöckler (Hg.): Konstanz und Italien. Transalpine Beziehungen durch die Jahrhunderte, Tübingen: Narr/UVK, 430 S., 24,- Euro
https://www.narr.de/konstanz-und-italien-53232/

Meine Lese-Empfehlungen – was mich besonders angesprochen hat:
der erste Teil über die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen von den Römern bis zur Konzilszeit
die EinflĂĽsse der italienischen Architektur, vom Haus zur Katz bis zum Bahnhofsgebäude    
die Beiträge ĂĽber die Italien-Reisen von Ignaz Heinrich von Wessenberg und Maria Ellenrieder   
die Artikel über die Familie Pampanin (Eisdielen) und über Luigi Pesaro (Old Mary’s Pub u.a.)

Bilder aus dem autobiografischen Archiv:

Die Verlage bemĂĽhten sich, die Kulturschocks zu reduzieren.

Wie bei meinen Graffiti-Fotos: Ich dokumentiere nur …

Das Plattencover ist etwas Old school, ist auch schon von 1973, die Musik aber mit mediterranem Temperament.

Im nördlichen Bereich der Grande Traversata delle Alpi (GTA) werden auch die Bergbäuerinnen mit Denkmälern geehrt.

Mein erster Artikel im Reiseblatt der FAZ: Bergwandern, Kultur, Geschichte, Sprachen …

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